Initiative 'Zukunft für Afghanistan'
gemeinnütziger eingetragener Verein, VR 9258, Amtsgericht Bonn
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Bonn, 22. November 2013
Wohin führt die Loya Jirga das schlingernde Schiff Afghanistan?
von Nadia Fasel
Über 2500 Menschen haben sich in Afghanistan auf den Weg gemacht, um, wie seit vielen, vielen Jahren, zu einer Loya Jirga in der Hauptstadt Kabul zusammenzukommen.
Hauptsächlich bestehend aus Stammesältesten, Mullahs und sogenannten „Wissenden“ wollen sie dort zusammensitzen und über das Sicherheitsabkommen zwischen Afghanistan und den Vereinigten Staaten von Amerika beraten. Sie wollen sich dafür vier Tage Zeit nehmen, um dann dem Präsidenten Hamid Karzai eine Zusage oder Absage für seine Unterschriftsleistung zu erteilen.
Nicht nur die Medien innerhalb und außerhalb Afghanistans, auch sehr viele verantwortungs-bewusste Teile in der Gesellschaft stellen sich hierzu folgende Fragen:
* wo liegen Sinn und Zweck, wo Rechtfertigung und rechtliche Bedeutung für solch ein archaisches Relikt aus uralten Zeiten - parallel zu einem vom afghanischen Volk bestimmten Parlament und einer im Amt befindlichen gewählten Regierung?
* was bringt dieser (nur einzige) „Tagesordnungspunkt“ in der jetzigen Situation dem Land, dem Volk, der Zukunft Afghanistans?
Dem Land, in dem vor dem Einsatz der internationalen Gemeinschaft die gesamte Bevöl-kerung gefangengenommen war und in dem die Amtssprache die der Peitsche und des Schwerts war.
Die internationale Gemeinschaft in Afghanistan ermöglicht ein Leben in relativer Normalität
Obwohl es immer noch überall an echter und nachhaltiger Sicherheit mangelt, finden trotz-dem vor allem junge Menschen den Weg in die Schulen und bringen sich für den Aufbau ihres Landes und für ihre Zukunft ein.
An die Behauptung, dass die Taliban aus Armut und Arbeitslosigkeit ihre Selbstmordanschlä-ge verüben, glaubt keiner ernsthaft – sieht man doch am Beispiel Zentralafghanistans, dass
dort, wo die Armut am schlimmsten ist, sehr erfreuliche Erfolge auf dem Weg hin zu einer Normalität zu verzeichnen sind.
Schaut man mit unverklärtem Blick genau hin, wird einem offenkundig, dass die Menschen in Afghanistan eben nicht kriegslüstern und blutrünstig sind und diese Tatsache den Taliban eben nicht als Rechtfertigung ihrer Gräueltaten dienen kann und darf.
Dass Faschismus und kranker Fundamentalismus der Taliban sich nicht ungehindert im Land haben breit machen können, dass sich ein gewisses Maß an Normalität trotz aller Widrigkeiten hat etablieren können, ist in hohem Maße dem Einsatz der internationalen Kräfte, zivil und militärisch, staatlich oder nicht staatlich, geschuldet. Erfolge aus dem Wir-ken der Regierung in der vergangenen Dekade sind im Schatten dieser Leistung hingegen leider kaum oder gar nicht wahrnehmbar.
Die Regierung Afghanistans ohne die internationalen Kräfte
Nach nun über zehn Jahren Aufbau und Unterstützung, riesiger finanzieller Unterstützung, größter Handelserleichterungen und wohlwollender weltweiter Hilfsbereitschaft in vielerlei Bereichen, hat das Land trotz größter ziviler und militärischer Opfer es nicht geschafft, belastbare und nachhaltige Strukturen in Wirtschaft, Verwaltung und Ordnung zu schaffen und ein verlässliches Mindestmaß an Sicherheit für sein Volk zu gewährleisten.
Es sieht so aus, als hätte man ein Haus mit bestem und teuerstem Material auf losem Sand gebaut. Das Land ist, außer beim Opiumanbau, in keinem Bereich autark. Es kann sein Volk nicht ernähren und ihm noch nicht mal das Nötigsten zum Leben aus eigener Kraft geben. In fast allen Bereichen des menschlichen, gesellschaftlichen Bereichs und der Entwicklung belegt das Land die schlechtesten Plätze in der Rangfolge aller Nationen dieser Welt – bis auf einen einzigen Bereich, da ist Afghanistan (nach Somalia) Spitzenreiter: bei der Korruption und bei der rekordverdächtigen Misswirtschaft!
Trotz aller Tapferkeit der Soldaten und der Sicherheitskräfte Afghanistans wird es von deren Eignungs- und Leistungsvermögen her schon äußerst schwer die Einwohner im Lande und sich selbst zu verteidigen. Doch woher kommt deren Finanzierung? Von der Regierung aus dem Land Afghanistan selbst erwirtschaftet? Wohl kaum. Wer wird die subversive Unterwan-derung durch die Taliban und durch den pakistanischen ISI nachhaltig unterbinden? Es wäre naiv und sträflich sich hier etwas vorzumachen!
Wird sichergestellt, dass die Taliban keine Schulen zerstören oder nicht den Schulbesuch der Mädchen verhindern?
Ist es nicht alarmierend schon heute zu erleben, dass erst vor wenigen Tagen, im mächtigen Schatten dieser Loya Jirga, mitten in der Hauptstadt und am Regierungssitz durch einen Selbstmordanschlag 12 unschuldige Menschen ihr Leben verlieren mussten? Was wird dann erst geschehen, wenn die internationalen Kräfte, von Herrn Karzai so innig herbeigeträumt, in Zukunft dann abgezogen sind, nicht mehr helfen, schützen können?
Für die Sicherheit der Loya Jirga wurde in der Hauptstadt Stillstand angeordnet – das gesell-schaftliche und wirtschaftliche Leben in hohem Maße beeinträchtigend. Tagelöhner und Kleinstunternehmer, die vom Tageserwerb existieren, werden um ihre Einnahmen gebracht.
Mangelnde Transparenz und Widersprüche im Verhalten der Regierung
Afghanistan hat gewählte Volksvertreter in einem Parlament und eine Regierung - was also rechtfertigt zur Entscheidung über eine so wichtige Vertragsunterzeichnung des Landes mit den USA die Einberufung einer Loya Jirga, deren personelle Zusammensetzung hinsichtlich Eignung, Expertise, Herkunft und individueller Absichten in der Masse mehr als fragwürdig ist? Bedeutet dieser Anachronismus nicht de facto eine Schwächung oder gar die Ablehnung des gewählten Parlaments, der demokratischen Strukturen? Was setzt dieses Handeln für ein Zeichen?
Was will Hamid Karzai? Was soll der Schlingerkurs einerseits vom Anspruch als moderner, „erwachsener“ Staat auf Augenhöhe anerkannt zu werden und andererseits hin zum mittel-alterlichen Anachronismus einer sich überlebten uralten Stammeskultur, die es auf dieser Welt nur noch in ganz wenigen unterentwickelten Kulturen gibt?
Trotz der aus ihnen kommenden tödlichen Gefahr für Leben, Entwicklung und Frieden im Land ist sein Kurs für die Behandlung der Taliban ein sanfter - diese letztendlich damit unterstützend und bestätigend. Völlig unverständlich ist, dass er, parallel zur Loya Jirga, Mitglieder des sogenannten Friedensrats nach Pakistan sendet und dort um die Gunst der Taliban buhlt.
Immer deutlicher offenbart sich eine Strategie des Klebens an der Macht – das Wohl des Vol-kes und des Landes dabei völlig aus dem Auge verlierend.
Auch mit den internationalen Regierungen verhält sich Afghanistans Machthaber sehr wider-sprüchlich und insgesamt unberechenbar. Betrachtet man sein Gebaren als Staatsmann näher, drängt sich einem das Bild eines orientalischen Basars auf, wo er marktschreierisch seine Waren an den Mann bringen will.
Auf dem niedrigen sprachlichen Niveau der Gassensprache versucht er im Parlament und jüngst in der Loya Jirga mit schmissigen Sprüchen nach dem Munde der Teilnehmer den Wirrwarr, den er angerichtet hat und immer noch und wieder anrichtet, in seinen oft mit Wut vorgetragenen Reden aufzudröseln.
Abzug aus Afghanistan - das Ende der Milliarden (Dollar-) Hilfen
Ein wesentlicher Bestandteil dieses zu unterzeichnende Sicherheitsabkommens mit dem Amerikanern und der Knackpunkt schlechthin ist die Immunität der US-Soldaten vor der afghanischen Justiz – genau so, wie es 2011 im Irak der vergleichbare Fall war. Wie wir uns erinnern können, stimmte die dortige Regierung damals nicht zu und die US-Soldaten ver-ließen daraufhin ohne wenn und aber das Land.
Jetzt, in der vergleichbaren Situation: kann es sich Afghanistan auch leisten, dass die US-Sol-daten, und mit Sicherheit auch all die anderen internationalen Kräfte und Hilfsorganisationen, auf dem Fuße das Land verlassen? Ist Afghanistan überhaupt schon auf dem Niveau der Leistungsfähigkeit des Iraks damals, kann das Land für die Sicherheit und das Wohl seines Volkes jetzt und alleine sorgen? Wird es dann alleine mit den Problemen fertig, dies es bis heute nicht mit internationaler Unterstützung in über 10 Jahren geschafft hat? Wird das Land, bar einer eigenen leistungsfähigen Wirtschaft und Industrie, jemals eine gewisse Autarkie erreichen? Wird es so Investoren gewinnen können und den Menschen im Land Lohn und Brot und eine berechtigte Hoffnung auf eine sichere, bessere Zukunft?
Noch wenige Monate bis zu den Wahlen und dem Abzugstermin
Afghanistan bietet derzeit immer noch ein schauriges Bild. Kaum ein anderes Land der Welt hat bisher in vergleichbarer Zeit solche riesige Summen an Geld, Unterstützungsleistungen und geldwerter Hilfen erhalten wie Afghanistan. Und trotz dieser enormen Unterstützung, unter dem Sicherheitskokon der internationalen militärischen Unterstützung durch ISAF, schaffte es die Regierung bis jetzt nicht die Armut in den Griff zu bekommen. Noch leben über 12 Millionen Menschen ( = beinahe die Hälfte der Gesamtbevölkerung!) dort unterhalb der Armutsgrenze! Die Schere zwischen arm und reich klafft mit atemberaubender Geschwin-digkeit immer weiter auseinander.
Ein Großteil der Gelder und Hilfen, der dann noch nach dem Abschöpfen durch die Korrup-tion übrig bleibt, ging und geht zu denen, die Herr Hamid Karzai „seine Brüder“ nennt – die „Brüder“, die für Unsicherheit im Landes sorgen und für täglich neue Opfer verantwortlich sind.
Und mit dem wenigen Geld, was nicht in private Schatullen verschwunden ist und es doch noch geschafft hat, auf dem Pfad der Korruption nicht zu versickern, veranstaltet er diese überaus kostenaufwändige und höchst überflüssige Zirkusnummer „Loya Jirga“, die das Ver-fahren zur Unterschriftsleistung sowieso nicht beeinflusst; hat Herr Karzai doch selbst gesagt, dass die Unterschrift sowieso erst nach den Wahlen unter den Vertrag gesetzt werden soll! Mit diesem durchsichtigen Manöver erhofft er sich maximale Unterstützung der Amerikaner für seine von ihm bereits jetzt schon bis ins Detail installierte politische Nachfolge.
Die Taliban-Gefahr
Die Taliban sind gegen die Verfassung Afghanistans und einem Frieden unter der Berück-sichtigung dieser Verfassung. Ebenfalls sind sie gegen das bevorstehende Abkommen mit den USA.
Sie erfuhren „als Brüder“ in den letzten Jahren unter Präsident Hamid Karzai eine fulminante Reanimierung und darüber hinaus eine bedeutende Aufwertung in dem man ihnen ein politisches Standbein anklebte – wissend, was ihre wirklichen Ziele sind und dass ihre wesentlichen Teile auf Kommando und am Zügel des pakistanischen ISI aktiv sind.
Sie wollen das Haus eines stabilen und sicheren Landes mit funktionierender Wirtschaft und einer sozial fest gefügter Gesellschaft, welches unter größten Opfern und unter größten Widrigkeiten in den letzten Jahren errichtet wurde, im Nu dem Erdboden gleich machen – so wie weiland vor 2001.
Der Abzug der internationalen Kräfte kann Beginn einer neuen Ära des Tötens und Getötet Werdens werden. Aus dem Einzelfeuer gestern und heute wird dann ein Dauerfeuer...