Mit großem Interesse habe ich den Artikel „Präsidentschaftskandidaten
riskieren Bürgerkrieg“ vom 11.07.2014 in der WELT gelesen.
( Siehe Quelltext unten)
( Siehe Quelltext unten)
So froh ich bin, dass sich die Autorin Sabina
Matthay mit ihren Gedanken so intensiv mit der Entwicklung dieser Tage in und
um Afghanistan befasst, so fühle ich mich auch dadurch gefordert die meinige
Sichtweise hierzu darzustellen.
Die Präsidentschaftswahlen rücken das Land wieder
in den Fokus westlicher und deutscher Medien. Wissende, Hintergründe
verstehende kundige Journalisten stehen bei ihren Betrachtungen und Analysen
des Geschehens dabei Schulter an Schulter mit den oft selbsternannten
„Fachleuten“, die ich mit „Express – Pressespezialisten“ bezeichnen könnte – an
der Oberfläche nur kratzend, bar erforderlicher Wissenshintergründe und leichtgewichtig
dem publizistischem Mainstream folgend. Ihre Visitenkarten sind dabei oft das
Nichtbeachten historischer und gewachsener Hintergründe sowie das gedankenlose
Nachplappern von unüberlegt verwendeten und oft sehr unpassend übersetzten Begrifflichkeiten
wie zum Beispiel die leichtfertig verharmlosende Bezeichnung der menschenverachtend
mordenden und marodierenden Taliban als „Aufständische“.
Eine Vielzahl von Veröffentlichungen ist dann
entweder durch diese Mängel belastet oder kommt nicht immer zu sachgerechten
Darstellungen beziehungsweise Analysen.
Auch in Frau Matthays Artikel sehe ich Anlass zu
einer zwingend differenzierenden Bewertung.
In ihrer Analyse kommt der US-amerikanische
Regierungsberater Riedel mit seiner unverbrämten Feststellung, dass „hier etwas
einfach nicht stimmt“ zu Wort.
Er begründet u.a. seine Zweifel mit der
wundersamen Wählermobilisierung und -vermehrung von bald zwei Millionen
zusätzlicher Wahlberechtigten innerhalb von Wochen als die größte „in der
Geschichte von Wahlen“ überhaupt. Und das in einem doch vergleichsweise sehr unterentwickelten
Land mit noch wenig ausgeprägtem Verständnis von Demokratie und den daraus
erwachsenden staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten und, gerade in den
paschtunischen Landesteilen, vor dem Hintergrund der Einschüchterungen und der real
existierenden Bedrohung durch die terroristischen Taliban hinsichtlich des
Urnengangs.
Zur
ersten Wahl wurde eine Wahlbeteiligung von rund 6.600.000 wahlberechtigten
Wählern angegeben.
Jetzt,
zur Stichwahl, geben die Offiziellen trotz einer allgemein rundum wahrgenommen
und auch durchweg von den Medien am Tag der Wahl mehrfach dargestellten viel geringeren
Wahlbeteiligung die wundersam deutlich höhere Zahl von jetzt 8.100.000 Wählern
an.
Hinzu kommen die massenhaft aufgetretenen und mittlerweile von
unabhängiger Seite bestätigten, für hiesige Vorstellungen nicht vorstellbaren,
Wahlbetrügereien und –manipulationen. So wird amtlicherseits
aufgrund konkreter Verdachtsmomente in über 7000(!) der rund 23000 Wahllokalen
wegen Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrugs ermittelt – das bedeutet, ohne die
darüber hinaus noch zusätzlich zu befürchtende Dunkelziffer, bei fast einem
Drittel aller Stimmabgabestellen!
Stelle man sich europäische Verhältnisse und
hiesiges Verständnis von Recht und Unrecht vor, so erscheint Frau Mattays
Aussage im Teaser „Doch der unterlegene Kandidat Abdullah gefährdet den
demokratischen Machtwechsel“ besonders gewagt und auch wenig nachvollziehbar:
jeder der beiden Bewerber um Hamid Karzais Nachfolge hat ob der dubiosen
Umstände Recht und Anspruch das Ergebnis dieses Wahlgewürges in Afghanistan zu
hinterfragen beziehungsweise anzuzweifeln. Den Kandidaten Abdullah jedoch einseitig
zu verurteilen und ihn als Wahlverlierer zu manifestieren ist weder
gerechtfertigt noch in dieser sich immer mehr aufheizenden Situation
angebracht.
Können Sie, Frau Matthay, vor all diesen Fakten
wirklich bei Ihrer Äußerung bleiben, dass der Kandidat Abdullah „offensichtlich
versucht, eine Niederlage schnell mit Betrugsvorwürfen abzuwenden“?
So wie Sie Herrn Abdullah überaus kritisch
(„schlechter Verlierer“) destruktives Verhalten vorwerfen, beleuchten Sie den Mitbewerber
hingegen sehr viel unkritischer und attestieren ihm sogar „betonte
Sachlichkeit“. Es fällt mir an dieser Stelle schwer die leider in mir
aufkommenden Zweifel an Ihrer Objektivität zu unterdrücken. Haben Sie denn
verdrängt, dass eben dieser Herr Ghani in seinem Wahlkampf unter anderem
versprochen hat, dass er, nachdem er bereits dafür gesorgt hatte, dass das Gros
der im Gefängnis in Bagram wegen schrecklichster und unmenschlichster
Verbrechen inhaftierten Schwerverbrecher bereits schon in die Freiheit
entlassen wurden, nach der Wahl auch noch den Rest dieser verurteilten
Schwerstkriminellen vor Ablauf ihrer Strafen im Rahmen einer Amnestie entlassen
wird?
Wir sollten uns hüten von hier aus vorschnell und
vielleicht auch noch auf einem Auge blind Position für einen der beiden Kandidaten
zu beziehen und die äußerst fragile Entwicklung des Landes hin zu einer gewaltfreien
und prosperierenden Zukunft nicht noch
zusätzlich zu belasten beziehungsweise dadurch in Frage zu stellen.
Auch sehe ich in den von Ihnen als schädlich wahrgenommenen
„Großdemonstrationen“ überhaupt nichts Verwerfliches – ganz im Gegenteil: eher
ist dies doch ein bisher noch nie dagewesener wichtiger Schritt hin zu einer Demokratisierung
und deren politischer Handhabung. Nie zuvor gab es friedliche Demonstrationen diesen
Umfangs und unter Beteiligung so vieler ihren politischen Willen ausdrückender
Frauen! Wir sollten froh sein, dass, bei aller Polarisierung in der Sache, das
Land aufsteht und den Weg der gewaltlosen rechtsstaatlichen gesellschaftlichen Auseinandersetzung
sucht und sich darin übt. Was kann es denn Besseres geben als hinzufinden zu
einer friedlichen und verantwortungsbewussten Auseinandersetzungskultur, ganz
besonders und gerade in einer so archaisch-traditionellen und ethnisch so
diversifizierten Gesellschaft!
Auffällig oft vernimmt man landauf und landab in
letzter Zeit in Analysen und Kommentaren die Begriffe „Minderheiten“ und
„Mehrheiten“. Nutzt man diese Begriffe zur Erklärung und zur Rechtfertigung von
Sachverhalten, wie zum Beispiel zu dieser Präsidentschaftswahl, zu
Wahlströmungen, zu Anhängerschaften der Kandidaten sowie zu
Hegemonialansprüchen einzelner Gruppen, sollte man sich allergrößte Vorsicht
und Zurückhaltung auferlegen. Ist doch ja hinlänglich bekannt, dass es bisher
in Afghanistan noch nie zu einer belastbaren Volkszählung beziehungsweise zu
einer nur annähernd den hiesigen Standards nahe kommende statistische Erhebung
gibt.
So sind auch die Interpretation zur Wählerschaft
der Kandidaten und zur Legitimation von Ansprüchen in Frau Matthays
Darstellungen sehr gewagt. Zweifel insbesondere zu Erklärung des Wählervotums
sind mehr als angebracht. Die absolute Vereinfachung auf die Formel Paschtunen
wählen Ghani und die tadjikische „Minderheit“ wählt Abdullah ist alles
andere als ein belastbares Faktum und sollte daher mit äußerster Skepsis
betrachtet werden – so wie es sich für alle Daten und Zahlen im Land empfiehlt.
Auch sollte man mit großer Umsicht und mit großer
Zurückhaltung mit den Begriffen „Minderheiten“ und „Mehrheiten“ umgehen. Nicht
nur, dass gerade wir hier in Deutschland unter der Schreckensherrschaft der
Nazis damit fürchterlichste Erfahrung gemacht haben, nein, damit erschweren wir
auch das demokratische und doch so gewollte Zusammenwachsen der Bevölkerung Afghanistans
und begünstigen gleichzeitig eine nicht unwahrscheinliche Sezession. Hier gilt
ganz besonders: wehret den Anfängen!
Unser Petitum als kritische Journalisten in und
über die Region kann und darf nur das präzise und objektive Beobachten sowie
die fundierte Analyse in deutlichen und, wenn nötig, auch in lauten,
unüberhörbaren Worten sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Nadia Fasel
Quelltext:http://www.welt.de/politik/ausland/article130026118/Praesidentschaftskandidaten-riskieren-Buergerkrieg.html